Jahresrückblick
„Für jedes Jahr habe ich ein Gefühl. Für 2020 nicht. Ich kann es nicht fassen, nicht beschreiben, nicht denken. Es ist eine leere Hülle, die völlig leblos ist und gefüllt werden möchte.“ Das waren meine Worte an Silvester 2019. Ich konnte nicht ahnen, wie sehr sich dieses Gefühl bestätigen sollte.
Die Veränderungen, die sich in diesem Jahr für uns alle zeigten, waren enorm. Noch nie prasselte so viel Grundlegendes auf uns von außen ein.
Und dabei war es genau diese rasende Schnelligkeit, die mich selbst zum eigentlichen „Ankommen“ inspirierte.
Annehmen
Der erste Lernschritt war ein Annehmen. Die Situation anzusehen und wahrzunehmen, wie sich die Realität veränderte. Ständig, unentwegt, in rasender Schnelligkeit. Für mich war das der schwerste Schritt. Aber doch der Wichtigste. Die anfängliche Hektik wich einer Lähmung, veränderte sich zu einer Beschäftigung, entwickelte eine Verwirrung und endete in einer Ruhe in mir.
Loslassen
Die Befreiung fand ich schließlich in mir. Dieses Jahr zu nehmen, wie es ist, war eine große Chance. Kein Außen konnte mich nun mehr davon abbringen, zu sehen, wer ich war. Oder viel mehr – wer ich nicht war. All das loszulassen, das nicht nicht zu mir gehört, ist wunderschön, wenn auch manchmal schmerzhaft.
Freude im Chaos
Ich entdeckte eine Seite in mir, der ich lange Zeit keine Beachtung schenkte. Sich in das eigene Chaos fallen zu lassen, fällt schwer. Darauf zu vertrauen, dass sich daraus etwas wunderbar Neues entwickelt, kostet Geduld und Mut. Aber dann ist es eine großartige Freude. Sich neu zu entdecken macht Spaß. Schwere Mäntel abzulegen macht leicht.
Ankommen
2020 wurde für mich ein Jahr des „Ankommens“.
Mein Buch „Oha, können Sie denn auch operieren?“ erschien im Februar. Es kommt mir vor, als passierte es in einem anderen Leben. Und doch zeigte es aktueller denn je, vor welchen Herausforderungen wir in unserem Gesundheitswesen stehen. Priorisierung, Wertevorstellungen und die Menschlichkeit. Thematiken, mit denen sich mein Buch beschäftigt, wurden von jetzt auf nachher für alle Menschen in Deutschland ersichtlich und zur gefühlten Realität.
Jeder konnte sich nun selbst damit auseinandersetzen, was er unter Solidarität, Respekt, Reichtum und Gesundheit versteht.
Deutschland als Staat und seine Bevölkerung wurden dazu gezwungen, sich mit den Grundsätzen ihrer Menschlichkeit zu beschäftigen.
Ehrlich konnte man nun seine Mitmenschen, seine Kollegen, seine Familie, seine Freunde und seine gewählten Volksvertreter dabei beobachten, welche Entscheidungen sie trafen. Schonungslos, schmerzhaft und manchmal überraschend.
Die Realität am Ende dieses Jahres ist eine Andere als zu Beginn.
Lieschen Müller am Ende des Jahres 2020
Lieschen Müller ist eine geschaffene Figur, mutig, kreativ und offen. Sie lebt in einem Buch, auf dem Blog und in social media. Sie ist seit diesem Jahr Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und gibt anderen Ärztinnen und Ärzten auf dieser Homepage eine Plattform.
Im Bereich „Vereinbarkeit“ gibt es für Ärztinnen und Ärzte (ja richtig! auch für die Männer!!!) die Möglichkeit, sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Das Interview kann zur eigenen Reflexion genutzt werden und lädt ein, anderen Beispiele zu geben. Bisher sind 40 Interviews von Ärztinnen und Müttern aus 12 unterschiedlichen Fachdisziplinen online. Ich freue mich über jedes einzelne davon.
Außerdem findest du nun in der Rubrik „Visionen“ Ärztinnen und Ärzte, die ihre Vision der Zukunft der Medizin teilen. Wie machen andere ÄrztInnen Medizin? Wie leben sie ihre Werte und wie gestalten sie ihr Ärzteleben? Hier stellen sich Menschen vor, die sich trauen, ein buntes Bild der Möglichkeiten in unserem Gesundheitswesen zu schaffen.
Werdet Teil der Plattform und macht mit. Es kostet ein kleines bisschen Mut, aber schafft Verbindungen, die man vielleicht lange gesucht hat.
Am Ende des Jahres 2020 ist meine Realität klarer, freier, liebevoller und offener, als sie es jemals war.
Wie war dein Jahr 2020?
Bildquelle: flickr.com, by (kev)
Leave A Reply