In welcher Fachrichtung arbeiten Sie, Klinik oder Praxis, Teilzeit oder Vollzeit und wie viele Kinder haben Sie?
Ich arbeite in Teilzeit als Gynäkologin in Arbeitnehmerüberlassung. Das heißt, ich bin zu einer festen Stundenzahl in einer sehr netten und familiären Zeitarbeitsfirma angestellt – ja die gibt es wirklich 😉 – und mache als Leihärztin Dienste in Kliniken und Praxisvertretungen. Zur Zeit sind es ca. 60 h im Monat.
Meine berufliche Verwirklichung und viel Platz für neue kreative Ideen finde ich in meiner Selbstständigkeit, meiner gynsprechstunde.de. Ich biete online Gesundheitscoachings zu Themen rund um die Frauengesundheit an und entwickle gerade einen Online Kurs für Schwangere und junge Mütter. Außerdem halte ich Vorträge und leiste einiges an Aufklärungsarbeit zu Gesundheitsthemen in meinem Blog und meinem Instagram Account. Eine vielfältige bunte Mischung mit der es nie langweilig wird.
Ich habe eine kleine Tochter.
Wie organisieren Sie Ihren Alltag mit Beruf und Kind/ern?
Mein Partner und ich stimmen uns sehr gut aufeinander ab. Wir sind beide selbstständig und ich kann meine Dienste relativ frei planen. So sind wir in der luxuriösen Situation, dass immer eine*r von uns „relativ unproblematisch“ frei machen kann, wenn die Kleine krank ist. Das bedarf allerdings einer sehr guten Organisation und Kommunikation, was sicherlich unsere größte Challenge ist.
Wie haben Sie ihre Auszeit vom Beruf empfunden und würden Sie sich noch einmal für eine Babypause entscheiden?
Wunderschön. Ich hatte (endlich!) Zeit nachzudenken und meine bisherige Berufslaufbahn zu reflektieren. Ich habe viel mehr zu mir gefunden, als vor der Schwangerschaft. Ich konnte mir in Ruhe überlegen, wohin meine bzw. unsere Reise im Leben gehen soll. Mit Baby ist man sowieso entschleunigt und lernt – ich zumindest – sich auf die wichtigen Dinge im Leben zu fokussieren. Ich würde auf jeden Fall nochmal 1 Jahr in Elternzeit gehen. Dienst im Krankenhaus und Stillen parallel ist für mich nicht kompatibel und zu stressig. In meine Selbstständigkeit würde ich deutlich zeitnaher nach dem Mutterschutz wieder schrittweise zurück kehren. So viel wie sich gut anfühlt.
Welche Probleme sehen Sie in der Vereinbarkeit von Beruf als Ärztin und Mutter?
Der klassische Klinikbetrieb ist personell sehr eng kalkuliert. Fällt ein/e Kolleg*in aus – ob krank, schwanger oder Kind krank – müssen die restlichen Kollegen dies abfangen. Das macht sehr viel Unmut und belastet das Team. Da Schwangere nach dem Arbeitsschutzgesetz völlig zurecht keine Nachtdienste machen dürfen, müssen die Kollegen diese übernehmen. Das empfinde ich als Zumutung für alle Beteiligten. Hier wird definitiv am falschen Ende gespart und das ist frustrierend und Team schädigend. Meine Freundinnen berichten mir, dass die Tätigkeit als angestellte Ärztin in Teilzeit in der Praxis deutlich besser mit Kindern vereinbar ist. Eine eigene Praxis zu führen und Vollzeit mit Kleinkindern zu arbeiten, schätze ich als ähnlich herausfordernd ein wie eine Vollzeitanstellung mit Diensten in der Klinik. Die fehlende Flexibilität und scheinbare Unersetzbarkeit stellen meines Erachtens nach die zwei größten Hürden dar.
Familiengründung in der Weiterbildungszeit zur Fachärztin – ein kluger Weg?
Sicherlich. Es wird nie „der richtige Zeitpunkt“ sein, um ein Kind zu bekommen, wenn es nach der klassischen Karriereleiter geht bzw. dann ist die Antwort niemals. Ich selbst habe bis zum Facharzt gewartet und würde dies heute nicht mehr daran festmachen wollen. Als Gynäkologin habe ich in meiner Schwangerschaft einiges aus meinem Fachgebiet dazu gelernt und am eigenen Körper erfahren – quasi die beste Fortbildung meines Lebens. Ob der Facharzt ein Jahr früher oder später fertig ist, interessiert im Nachhinein niemanden. Ich würde den Kinderwunsch nicht für eine fiktive Karriereplanung zurückhalten.
Wie haben Sie ihren Wiedereinstieg nach der Kinderpause erlebt?
Da ich mir den Wiedereinstieg selbst gestaltet habe, relativ unkompliziert. Meine anfänglichen Ängste, etwas verlernt zu haben, haben sich bereits im ersten Dienst in Luft aufgelöst. Nach drei Diensten im Krankenhaus, war wieder alles „wie früher“ ;-). Nur war ich noch entspannter und emphatischer .
Wie hat sich Ihre Arbeitsweise, nachdem Sie Mutter geworden sind, verändert?
Wie schon geschrieben, ich bin jetzt noch weniger aus der Ruhe zu bringen. Seit ich mehr bei mir bin und ganz klar, nicht mehr 60-80h in der Woche arbeite, bringt mich wesentlich weniger in Stress oder aus der Fassung. Da ich versuche mit möglichst vollgetankten Ressourcen zum Dienst zu gehen, erlebe ich diese als viel schöner. Ich bin präsent und freue mich auf die Patientinnen. Ich kann ganz bewusst Ärztin sein. Außerdem habe ich das Gefühl, mich noch mehr in die Patientinnen hineinversetzen zu können. Wenn mich eine Patientin fragt, ob ihr das Schmerzmittel oder die Badewanne helfen wird, besser mit den Schmerzen umzugehen, kann ich ihr aus eigener Erfahrung und mit voller Überzeugung sagen: „ Ja bei mir hat es Wunder gewirkt.“
Wie sehen Sie die Unterstützung durch Gesellschaft, Arbeitgeber und Kollegen für arbeitende Mütter und Väter?
Das kommt sicherlich auf den Arbeitgeber an und die jeweiligen Umgebungsfaktoren. Generell ist in diesem Bereich meiner Meinung nach noch viel zu tun. Mutter sein, heißt weder weniger belastbar noch schlechter einsetzbar zu sein. Es heißt flexibler sein. Und an dieser Flexibilität hapert es im System.
Fühlen Sie sich gleichberechtigt gegenüber Ihren männlichen Kollegen? Haben Sie die gleichen Chancen?
Hierzu muss ich leider ein klares NEIN sagen. Männer kommen in der Regel weiter im klassischen Karriereweg der Medizin. Dieser Eindruck wird bestätigt von der aktuellen Besetzung von Leitungs- und Chefpositionen in Deutschland. Männer haben keinen Ausfall wegen Mutterschutz (oder eben Einschränkungen in der Arbeitsweise während der Schwangerschaft) und zumeist nicht mehr als 2 Monate Elternzeit. Statistisch gesehen bleiben Männer auch weniger häufig Zuhause, wenn das Kind krank ist. Freunde haben mir wiederum berichtet, dass Männer sich für Kind-krank – oder längere Elternzeiten deutlich mehr rechtfertigen müssen, als Frauen. Obwohl von gesetzlicher Seite ihr Anspruch gleichermaßen besteht.
Mein Lösungsvorschlag: Es soll völlig normal und etabliert sein, dass Frauen und Männer beide regelhaft 7 Monate in Elternzeit gehen (+ natürlich länger, wenn sie möchten). Das stärkt nicht nur die Bindung zum Kind beider Eltern, sondern schafft direkt mehr Chancengleichheit.
Welchen Ratschlag würden Sie anderen Ärztinnen, die über die Familienplanung nachdenken, geben?
Nicht zu viel darüber nachdenken und „einfach“ machen. Alles andere wird sich ergeben. Und wenn dann der vorher ausgemalte Karriereweg nicht mehr funktioniert, ist es auch nicht „der Richtige“ für dich, der dich langfristig glücklich macht. Es gibt heutzutage vielfältige Möglichkeiten in der Medizin zu arbeiten. Hier liegt es an uns, diese Wege über den Horizont der klassischen Praxis- oder Klinikarbeit hinaus zu erkunden.
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